Ein paar Schritte entfernt sie sich von der Leinwand. Legt den Kopf nachdenklich zur Seite, die Hand an das Kinn. Dann geht sie wieder zum Bild zurück, ergänzt es mit einem weiteren Farbstrich. Ein neues Detail fällt ihr ein… Das wiederholt sie mehrmals am Tag. Konzentriert, voller Hingabe und voller Freude vervollständigt sie das Tagewerk. An jedem Abend, bevor sie sich zur Nachtruhe begibt, schaut sie zufrieden darauf: „Und siehe, es war sehr gut!“ So oder ähnlich stelle ich mir vor, könnte es gewesen sein, als Gott die beste aller Welten erschaffen hat: „Am Anfang, bevor die Welt begann, als alles ohne Gestalt war…, da war er da, saß brütend über dem Chaos, den Strukturen, dem Geschmack, dem Anblick und dem Klang der Dinge – planend, die Gegensätze ausbalancierend, den Regenbogen webend…“. Die Schöpfung – eine Komposition, ein Kunstwerk, ein Gedicht. Einmalig und unbezahlbar, wie jedes Geschöpf, das die Erde bewohnt, wie jeder Mensch, dem sie als Lebensort geschenkt wurde, um sie zu bebauen und zu bewahren. Dass der Mensch dabei sein Kunstwerk beschädigen oder gar zerstören, sich die Erde untertan machen, Ressourcen ausbeuten und die Lebensgrundlage zukünftiger Generationen zerstören sollte, das hat sich Gott ganz bestimmt nicht träumen lassen. „Und siehe, es war sehr gut!“ – der Satz beschließt die sechs ersten Tage der Schöpfung. Es ist für mich einer der schönsten Sätze der Bibel, weil er Vollendung und Verheißung zugleich enthält. Die Welt, wie Gott sie gemacht und gewollt hat, ist sehr gut. Und sie soll es wieder werden, durch uns, für uns, für unsere Kinder und Kindeskinder. Beim Übergang vom alten in das neue Jahr rüttelt das Wort auf. Vieles im vergangenen Jahr war ganz und gar nicht gut. Schafft es die Menschheit, im neuen Jahr etwas besser zu machen? Immerhin fällt auch der Mensch, erschaffen nach Gottes Ebenbild, unter das Prädikat „sehr gut“. Es ist an der Zeit, diese Güte walten zu lassen und die göttliche Würde zu schützen, die jedem seiner Geschöpfe innewohnt. So kann unsere Welt wahrhaftig wieder „sehr gut“ genannt werden. Und Gott wird lächeln und sich freuen, ihr Kunstwerk in gute Hände gegeben zu haben…
Mit herzlichen Grüßen zur Adventszeit und zum neuen Jahr
Ihre Pfarrerin Roseli Arendt-Wolff