Auf ein Wort (3-2019)

Monatsspruch für Oktober – Wie es dir möglich ist: Aus dem Vollen schöpfend – gib davon Almosen. Wenn dir wenig möglich ist, fürchte dich nicht, aus dem Wenigen Almosen zu geben.

(Tobit 4, 8)

Liebe Gemeinde,

in Berlin sitzt er schon seit Jahren jeden Sonntag zur Gottesdienstzeit vor der Tür der Gethsemanekirche: ein geistig behinderter Mann, der jedem entgegen ruft: „Almosen! Kleine Spende!“ Manche geben ihm einen Euro oder etwas Essen. Manche sind genervt.

Wenn in der U-Bahn der Mann vorbeikommt, der die Obdachlosenzeitung verkauft, runden manche von 1,50 auf 2 Euro auf. Von türkischen oder arabischen Jugendlichen bekommt er fast immer 20 Cent. Das gehört zu ihrer Kultur.

Für uns ist „Almosen“ eher ein hässliches Wort. Im Fremdwörterbuch steht: „Umgangssprachlich: billige Abspeisung“.

Dabei ist die Grundidee nicht schlecht: Es geht nicht nur um das Geld, sondern um das Ritual des Gebens. Das Zuwenden. Das gibt auch dem Geber etwas. Wer viel spenden kann, spende viel; ob für das Freibad oder das Kirchengebäude oder was Ihnen sonst wichtig ist. Sie werden das nicht bereuen; das ist meine Erfahrung. Aber auch kleine Spenden sind erlaubt. Oder Nicht-Materielles: Vor 30 Jahren – am 7. Oktober ´89 – war ich vor der Gethsemanekirche.

Solange Michail Gorbatschow in der Stadt war, hielten die Einsatzkräfte sich zurück, und es kam auf den Straßen rings um die Kirche zu den Demonstrationen mit den Kerzen und den Sprechchören: „Keine Gewalt! Wir sind das Volk.“ Ab 22 Uhr wurde brutal geräumt, und für Viele begannen 48 schlimme Stunden mit Stehen, ohne sich bewegen oder sprechen zu dürfen, Toilettenverbot, Schlägen. Ich entging dem nur, weil ich mich in einem Hausflur versteckte und die beiden Polizisten, die ihn durchsuchten, so taten, als hätten sie mich nicht gesehen.

Deshalb liebe ich die – im übertragenen Sinn – offenen Hausflure. Die offenen, zugewandten Menschen.

Paul Beutel