Auf ein Wort (I-2014)

„Gott nahe zu sein, ist mein Glück.“

Ist der 73. Psalm eine Anleitung zum Glücklichsein? Wenn man sich den Psalm anschaut, stellt man schnell fest: Das Gegenteil ist der Fall: Der Beter des Psalms verzweifelt fast daran, dass nicht die Frommen, sondern die Gottlosen so erfolgreich sind und glücklich leben. Wobei die Gottlosen Menschen die sind, die ohne Rücksicht auf Gott und seine Gebote ihren Vorteil suchen. Und der Beter stellt fest: „Siehe, das sind die Gottlosen, die sind glücklich in der Welt und werden reich.“ Im Gegensatz zu ihm, der sein Herz rein hält und seine Hände in Unschuld wäscht und trotzdem täglich geplagt wird. Er versucht, diese Ungerechtigkeit zu verstehen. „So sann ich nach, ob ich’s begreifen könnte, aber es war mir zu schwer.“ Halten wir als erstes Ergebnis fest: Psalm 73 ist keineswegs eine Anleitung zum Glücklichsein, sondern das verzweifelte Gebet eines Frommen, der unglücklich ist und weder für das Glück der Gottlosen noch für sein eigenes Unglück eine Erklärung findet. Das bedeutet für uns: Gesundheit, Erfolg und was wir uns auch immer so vorstellen als Grundlage für das Glück, ist nicht einfach als eine Belohnung Gottes zu verstehen. Diese einfache Gleichung: „Sei fromm und tue Gutes, dann geht es dir auch gut!“ – spätestens seit dem 73. Psalm ist sie zerbrochen. Was fangen wir nun aber mit dem letzten Vers dieses Gebetes an, der unsere Jahreslosung enthält? In diesem letzten Vers gibt es ja einen überraschenden Umschwung, ein gewaltiges „Aber“ oder „Dennoch“, was die vorliegende Fassung der Jahreslosung verschweigt: „Aber Gott nahe zu sein, ist mein Glück.“ Verwegen nimmt der Psalmbeter eine Umdefinition vor: Das, was er vorher für die Faktoren des Glücks gehalten hat: Reichtum, Erfolg, Ansehen usw. ist nicht wichtig, auch weil es vergänglich ist. Und er definiert die Nähe Gottes, die er erlebt, als das wahre Glück. Bis heute gelten die Faktoren, die er nun ablehnt, als unabdingbar für das Glück. „Nein!“, sagt er: „Die Nähe Gottes, das ist mein Glück!“ Wir, die wir von Weihnachten her kommen, wo wir gehört haben dass Gott selbst aktiv wird, uns Menschen nahe kommt, hautnah, können darauf vertrauen: Gott will uns nahe sein, ist uns nahe. Nur wir übersehen seine Nähe oft. Das könnte unsere Aufgabe für das neue Jahr sein: Spuren dieser Nähe zu entdecken, jeden Tag neu und diese Nähe als Erfüllung, als Glück zu erkennen.

Ihr Sebastian Beutel